Die schönsten Eckchen Deutschlands

Warum in die Ferne schweifen...

Auf kulinarischer Kohltour unterwegs im Nordwesten

Reinhard Lührimg und seine Grünkohl-Zucht

(c) Michael Ritter

Oldenburg Zu Gast in Deutschland Kohltour-Haupts

Hafen von Oldenburg am Stau

(c) Michael Ritter

Christoph Hahn konnte sich in der NDR Talk Show vor ein paar Tagen ganz gut gegen Hubertus Meyer-Burkhardt als Fragensteller behaupten. Mit seinem Spezialgebiet war der promovierte Biologe, der voller Begeisterung über Palmen redete, in der Schauspielerrunde eine Besonderheit. Hahn möchte seine Palmen künftig stärker unter die Menschen bringen. Um genau zu sein, handelt es sich dabei um eine eigene Züchtung, die er an der Universität Oldenburg neben seiner Promotion entwickelt hat: die Oldenburger Palme. Palmen an der Nordseegeest? Wenn da jemand die Augen weit aufreißt, darf man sich nicht wundern, aber tatsächlich spricht man in Norddeutschland gerne von Palmen, wenn man Grünkohl meint. "Im Schatten der "Ostfriesischen Palme" können wir zwar nicht unter südlicher Sonne lustwandeln, aber dafür erfreut uns ihr Grün den ganzen Winter hindurch" hatte Reinhard Lühring gesagt, den ich ein paar Wochen zuvor auf seinem Dreschflegel-Saatgut-Hof im ostfriesischen Schatteburg besucht habe. Palme passt von Größe und Aussehen ganz gut, denn mit mannhoher Wuchshöhe schießt er ganz heftig in die Höhe und entfaltet oben sein Blattwerk. Einst wegen ihrer großen Bedeutung für die Ernährung hochgelobt, ist die Ostfriesische Palme inzwischen fast in Vergessenheit geraten. Das möchte Lühring verhindern und hat in Christoph Hahn einen aktiven und wortgewaltigen Mitstreiter gefunden.

Hahn hat über Grünkohl promoviert und möchte mit seiner Neuzüchtung die positiven Aspekte der Grünkohlsorten vereinigen, denn durch deren Flavonoide und Senfölglycoside ist Grünkohl zum Superfood geworden, der mit Entzündungshemmern und Antioxidantien die Gesundheit und durch seine vielen Ballaststoffe die Verdauung fördert. Da nicht alle Menschen lieben Grünkohl auch geschmacklich so wie er („Es war Liebe auf den ersten Biss“). Rund 150 Sorten, die man weltweit kennt, hat er im Labor analysiert, um eine gleichsam wohlschmeckende wie gesunde Kombination zu kreieren. Die glaubt er jetzt mit seiner Oldenburger Palme entdeckt zu haben.

Zugegeben, ich war basserstaunt, als ich bei meiner Reise nach Oldenburg aus dem Bahnhof kam und mich auf den kurzen Weg zum Hotel machte. Bislang war ich nur in meiner Kindheit mal dort, auf dem Weg nach Ostfriesland, aber das auf und ab des Meeres mit den Gezeiten hatte uns damals nicht wirklich begeistern können und so flog die Nordseeküste schnell aus der Liste der zukünftigen Reisen und wurde gegen Ostsee und Bayern ausgetauscht. Einmal war ich noch aus Klassenfahrt auf Borkum, aber danach habe ich das nördliche Niedersachsen gemieden, wie der Teufel das Weihwasser. Noch nicht einmal Nordfriesland konnte mich begeistern und ich befürchte, dass auch die deutsche Luxusinsel Sylt mich nicht mehr zu Gesicht bekommt.

Das ich der Region Unrecht getan habe, zeigte sich im Laufe meines kurzen Besuchs, bei dem ich mich über eine der Spezialitäten erkundigen wollte, die so eng mit der Region um Oldenburg verbunden ist, dass mir jetzt beim Besuch im Supermarkt immer wieder direkt ins Auge springt: Oldenburger Grünkohl.

Gut, ich war nie ein Fan von fetten Grützwürsten, die man dort traditionell dazu isst: Pinkel, was bei mir immer andere Assoziationen weckt, die alles andere als appetitlich sind. Aber ich wollte erkunden, ob man das traditionelle Gemüse, dass ich zuvor noch nie auf dem Feld gesehen habe, auch für andere Gerichte verwenden kann, denn immerhin hat sich der Grünkohl durch die darin enthaltenen sekundären Pflanzenstoffe, wie Flavonoide und Senfölglycoside zu einem Superfood entwickelt, das mit Entzündungshemmern und Antioxidantien die Gesundheit und durch seine vielen Ballaststoffe die Verdauung fördert. Es herrscht gerade ein richtiger Hype um den Grünkohl, der Grund genug war, mich auf den Weg in den Norden zu begeben.

Meine Verwunderung setzte wie gesagt schon beim Weg zum Hotel ein, denn nie im Leben hatte ich damit gerechnet, dass Oldenburg eine Großstadt ist und mit seinen Universitäten und ihren fast 30.000 Studenten sogar quirliger und lebendiger ist, als meine kleinere Universitätsstadt Göttingen.

Quartier habe ich bezogen in dem neuen schicken Hiive-Design-Hotel nahe beim Bahnhof und Hafen der Stadt. Durch den Küstenkanal und die für Seeschiffe ausgebaute Hunte und Weser ist letzterer ein immer noch aktiver Wirtschaftsfaktor. Auf dem Weg muss ich immer die Augen offen halten für flinke Radler, denn das Fahrrad ist vor Ort das beliebteste Verkehrsmittel. Eine neuere Untersuchung kürte Oldenburg als eine der fahrradfreundlichsten Städten Europas, da rund 43 Prozent der Bewohner ihre Wege mit dem Rad zurückgelegen – mehr als im nahen Groningen und Münster. Überall werden die Straßen begleitet von Fahrradwegen und auch wer ohne Rad in die Stadt kommt, findet schon am Bahnhof Fahrradstationen, an denen man auch Fahrräder ausleihen kann und dann Stadt und Umland erkunden kann.

Grünkohl-Pralinen auf Grünkohl

(c) Michael Ritter

Auf Kohltour durch Oldenburg

Grünkohl-Tapas in Oldenburg

(c) Michael Ritter

Dort liegt auch kein erstes Ziel meiner kurzen Reise: das Ols-Brauhaus am Hafen. Das Lieblingsbier der Stadt ist das herbe Jever Pilsener aus dem 50 km nördlich gelegenen Jever mit seinem Pilsner, nachdem nach dem Ersten Weltkrieg nach und nach alle traditionellen Brauereien von Großbrauereien übernommen und später geschlossen wurden. Der Trend zum Craft Beer hat aber 2010 in der Universitätsstadt mit der Ols-Brauerei eine Neugründung aus dem Boden schießen lassen, die immer wieder neue Spezialitäten austüftelt. Eine davon ist der Grund meines Besuchs: Der Grüne Anton, benannt nach Graf Anton, dem einstigen Landesherrn und ein wahres Unikat, gebraut mit Grünkohl. Sehr viel mehr als drei Hektoliter gibt es nicht, genug um auf die neue Grünkohlsaison anstoßen zu können, denn die ist eine ganz besondere Zeit in der Stadt. Beim Einbrauen des Bieres hat Braumeister Josef Herzog neben den üblichen Zutaten tatsächlich Grünkohl hinzugegeben. Man schmeckt es leicht heraus, wenngleich das Bier wohl besser zum Grünkohl passt.

In der Bierstube der Brauerei kann man bei Biertastings die Biere der Brauerei erkunden oder sich näher mit der Braukunst vertraut machen oder beim Rundgang durch die Stadt mit ausgiebigen Tasting den Bier Bachelor erwerben.

Da bei mir Bier nicht im Fokus der Erkundung steht, verzichte ich auf diesen Bierrundgang und treffe mich mit Maike Vormelker, die mich mitnehmen möchte auf eine kulinarischen Grünkohltour durch ihre Heimatstadt. „Moin und herzlich willkommen zur kulinarischen Grünkohltour“ begrüßt sie mich freudig auf Plattdeutsch und hängt mir erst einmal einen Minihumpen für den Schnaps ein, den ich auf meinem Spaziergang noch eingeschenkt bekommen werde. Eigentlich ist es keine echte Grünkohltour, denn die fand 1871 zum ersten Mal statt, als Mitglieder des Oldenburger Turnerbundes Anfang November mit dem Bollerwagen nach Rastede gewandert sind, auf der Strecke geboßelt haben und am Ziel Grünkohl mit Pinkel verzehrt haben. Das passt gut, denn es liegt rund ein halbes Jahr nach dem Vatertag, wo auch gerne ein Fläschchen getrunken und im Freien gefeiert wird. Apropos Boßeln: Zwei Gruppen versuchen dabei ihre Kugel mit möglichst wenigen Würfen über eine zuvor festgelegte Strecke zu werfen. Ein Sport, der keine Sportstätte braucht und prima eine Wanderung begleiten kann, da man ihn auch auf Straßen und Wegen spielen kann. Damit die Kugel nicht in einem der vielen Gräben und Wasserläufe entlang der Strecke verlorengeht, dient der metallene Krabber dazu, die Kugel wieder ins Trockene zu bringen. In der Region ist Boßeln seit gut einem Jahrhundert sehr beliebt - ein typischer Friesensport.

Zuerst nimmt mich Maike mit in die Altstadt von Oldenburg. Vom majestätischen Schloss, in dem heute das Landesmuseum für Kunst und Kunstgeschichte befindet, geht es hinein in die schon 1967 angelegte Fußgängerzone und über ein paar Seitenstraßen zum mittelalterlichen Stadtturm, dem Lappan, der das Wahrzeichen Oldenburgs ist. Die Plätze und Gassen der Altstadt sind historisch gewachsen und bilden ein kleines Labyrinth, in dem man sich glatt verirren könnte, böten nicht Achternstraße und Lange Straße die Grenzen eines Rundkurses, der zum Markt an der neugotischen Stadtkirche St. Lamberti führt. Ein großer Vorteil der ersten flächendeckenden deutschen Fußgängerzone ist, dass auch Fahrradfahrer, die sonst stets die volle Aufmerksamkeit verlangen, ihre Räder schieben müssen. Anders als in vielen anderen Großstädten findet man dort immer noch viele inhabergeführte kleine Fachgeschäfte mit einem attraktiven Branchenmix, die zum Shopping einladen.

In eines davon, Viola’s Gewürze und Delikatessen gehen wir dann auch hinein, denn Corinna Westle wartet schon auf uns mit einer kleinen Portion gekochten Grünkohl, die sie mit ihrem eigenen für die Kohltourhauptstadt kreierten Grünkohlgewürz verfeinert. Wenig später machen wir einen kurzen Besuch an einem Marktstand, der frischen Grünkohl anbietet. 9 Euro kostet das Kilo in Demeter-Bio-Qualität – nicht gerade billig. Noch etwas teurer sind die Grünkohlpralinen der ehemaligen Hofkonditorei Klinge. Die hat ihr traditionsreiches Café zwar zugemacht und vertreibt ihre leckeren Produkte mobil, in verschiedenen kleinen Hofläden oder via Internet. Die Pralinen passen gut zu einem Grünkohl-Abend mit Freunden oder als Leckerei auf der Kohltour. Neben verschiedenen Sorten Schokolade, regionalen Weizenkorn und rosa Pfeffer hat man den feineren und milderen Palmizio-Grünkohl dafür verwendet, der mehr Zucker enthält als seine norddeutschen Kollegen.

Man staunt, was man alles aus Grünkohl machen kann. Hendrik Nölker hat etwas für uns vorbereitet, als wir sein Tee- und Kaffee-Geschäft Nölker & Nölker im Zentrum besuchen. Nach dem Motto „Grün und Grün verträgt sich gut“ hat er gerade einen Grünen Sencha-Tee aus China aufgegossen der ihm als Basis für die Zugabe von fünf Prozent gemahlenen Grünkohl dient. Die Kombination aus kräftigem Grünkohl und mildem Sencha passt sehr gut, um den familiären Grünkohlgenuss zelebrieren zu können wie ein echter Oldenburger. Aufgegossen werden dann rund 10 Gramm Tee für einem Liter Grünkohltee. Schon nach wenigen Minuten kann man dann das außergewöhnliche Aroma genießen. Als letzte Station auf unserem kleinen Stadtrundgang schauen wir bei den Buddel Jungs vorbei. Dort hat Frederik Prellwitz vor ein paar Jahren mit einem Partner sein Hobby zum Beruf gemacht. Der gelernte Lehrer bietet in dem kleinen Laden diverse Spirituosen aus ausgesuchten, kleineren Brennereien an. Eine Brennereien-Tour durch den Schwarzwald brachte sie auf die Idee und das Angebot in dem kleinen Laden ist immens. Natürlich darf ein Grünkohl-Schnaps nicht fehle: der Grünkohlgin „Alte Burg“. Den haben ein paar ihrer Oldenburger Altersgenossen auf der Basis eines klassischen London Dry Gin mit einem Hauch Grünkohl brennen lassen. Als Botanicals haben sie neben den Classicals die Fruchtigkeit von Orange und Heidelbeeren gewählt und ihn mit dem Grünkohl mild abgestimmt.

Besser gefallen hat mir allerdings der Gin, den ich im Hofladen des Feinkostenspezialisten Bastwöste & Co entdecke, der am Stadtrand liegt. Und er ist zudem noch 9 Euro günstiger. Geschäftsführer Ferdinand Freitag bemüht sich neben seinem mediterranen Angebot an Oliven, Olivenöl, Käse, Essig und Antipasti auch etwas Regionales auf die vielen vom Unternehmen bedienten Wochenmärkte zu bringen. Auch der Bastwöste Grünkohl Gin baut auf der Rezeptur eines klassischen Dry Gins auf, zu dem neben dem namensgebenden Wacholder, Orangen- und Zitronenzesten und ausgewählte Kräuter und Wurzeln wie die Angelika und Koriandersamen gehören. Zusätzlich mazeriert man dieses klassische Geschmacksbild durch Grünkohl. Er fällt auf durch einen Grünton und seine würzige Note, die ihn mit einem Tonic zu einer schönen Spezialität machen. Erstklassig gefallen hat mir auch eine weitere Spezialität des Unternehmens: Grünkohl Pesto, das hervorragend zu Gnocchi in Parmesanbutter passt. Alle bei meinem Rundgang verkosteten Spezialitäten kann man übrigens auch leicht im Internet bestellen.

Zum Abendessen kehre ich wieder im Stadtzentrum ein, wo sich im historischen Gewölbe des Alten Rathauses der seit 1355 bestehende Ratskeller befindet. Wie anderorts war dies seit alters her eine Einheit mit dem Rathaus, die oft im Keller eine Wein- und Bierstube unterhielten, um mit deren Erlös das Gebäude zu finanzieren. Ein sicheres und einträgliches Geschäft, denn zeitgleich mit der Einrichtung verboten Adel und Bürgerräte der Stadt andernorts den Verkauf von Getränken, die nicht aus Oldenburg stammten. Inhaber Sebastian Frey setzt bei seiner Küche auf Frisch, Regionalität und Saisonalität. Greetsieler Krabbensuppe steht im Herbst und Winter ebenso auf der Speisekarte wie Matjes und Oldenburger Grünkohl mit Pinkel, Kochwurst und Kasseler, Senf und Bratkartoffeln. Sehr angenehm ist das oft auf den Speisekarten der Region zu findende Angebot einer kleinen Portion. Für Vegetarier und Veganer hat man den Oldenburger Grünkohl auch mit veganer Bratwurst, Senf und Bratkartoffeln im Angebot. Als Absacker habe ich mich für die trendige Oh Honey-Bar des Hiive-Hotels entschieden. Man spürt dort, dass Oldenburg eine lebendige Universitätsstadt ist und die Hochschulen durch Spin-Offs viele auch international spanende Startups entstehen lassen.

Hengsforder Mühle

(c) Michael Ritter

Fahrt nach Ostfriesland

Grünkohl mit Ammerländer Pinkel

(c) Michael Ritter

Am nächsten Morgen geht die Fahrt weiter zum bereits eingangs erwähnten Reinhard Lühring ins Fehngebiet, dass sich über das südliche Ostfriesland von der Ems bis ins Ammerland erstreckt. Man versteht darunter Moorsiedlungen entlang eines Wieken genannten Kanals. Typisch sind die weißen Klappbrücken, die historischen Fehnhäuser und die prächtigen Windmühlen, die an die nahen Niederlande denken lassen. Kleine von den Kanälen abgehende Wasserläufe prägen das einzigartige Landschaftsbild der Gegend um Leer. Wie Oldenburg liegt das gesamte Fehngebiet nur ein paar Meter über dem Meeresspiegel. Eine Nachbargemeinde ist Papenburg, wo die Meyer-Werft riesige Kreuzfahrtschiffe baut werden und auch die ehemalige Teststrecke für den Transrapid liegt wenige Kilometer entfernt im Emsland.

Dass das ganze Gebiert durch den Klimawandel dauerhaft vom Meer überflutet wird, ist zu unseren Lebzeiten nicht zu erwarten, aber Wissenschaftler rechnen bis 2050 mit einem Anstieg um rund 32 cm und bis Ende des 21. Jahrhunderts um bis zu einem Meter oder mehr. Gerade bei Sturmflut, bei der auflandige Winde das Wasser um mehrere Meter ansteigen lassen, können so schon bald massive Schäden entstehen.

Einst gab es hier unbewohnte oder gar unbewohnbare Moore, die nach und nach bevölkert und dann durch Kanalbau und Torfstich urbar gemacht wurden. Zwischenzeitlich hat sich gezeigt, dass dies nicht nur den Grundwasserpegel senkt, sondern auch wegen der CO2-Bilanz das Klima massiv beeinträchtigt, weshalb der weitere Torfstich stark eingeschränkt wurde und stellenweise sogar durch Vernässung rückgängig gemacht wird, um mehr CO2 zu binden, was aber sehr viel Zeit in Anspruch nimmt.

Lührings Naturland-Hof widmet sich schon seit mehr als einem Vierteljahrhundert der biologischen Vermehrung von Saatgut und der Erhaltung alter Arten. Er liegt auf einem Geestrücken nur zwei Meter über NN. Humoser Sand nennt man den Gley-Podsol Boden, den man dort antrifft. Eine mächtige Sandschicht mit einer mächtigen Auflage von Humus. Die nahe Nordsee sorgt oft für starke Winde. mit 32 Bodenpunkten, durchschnittliche Niederschlagsmenge ca. 780 mm. Durch die Küstennähe ist der Standort sehr windgefährdet. Er hatte gar nicht mehr mit dem Besuch gerechnet, bekennt er, da er ihn falsch notiert hatte. Zum Glück ist er aber im Betrieb und zeigt mir mit einem gewissen Stolz sein Feld, auf dem neben anderem Gemüse so viele unterschiedliche Grünkohlsorten wie sonst wohl nur auf dem Versuchsfeld von Christoph Hahn friedlich nebeneinanderstehen.

Manchmal, sagt er, führe er Kreuzungen unter den einzelnen Sorten durch, bei denen dann so etwas wie Christoph Hahns Oldenburger Palme entstehen kann. Mit einigen anderen Landwirten, die er zum Teil während seines Studiums im nordhessischen Witzenhausen kennengelernt hat, pflegt er traditionelle Gemüsesorten. Bei ihm ist es der Grünkohl.

Hinten im Garten steht die hochgelobte aber fast verschwundene Ostfriesische Palme, die man nur noch in diesen alten traditionell arbeitenden Saatgut-Betrieben bekommen kann. Angepflanzt werden sie zum Frühlingsanfang. Nachdem er sie im Freiland vorgezogen hat, kommen im Spätfrühling die kräftigsten Pflanzen mit reichlich Kompost in die Beete. Im Herbst dienen die unteren am Strunk wachsenden Blätter als Tierfutter. Mit der Herbstkälte im Oktober bildet sich oben eine feinkrause Rosette, die durch den Frost süßlicher im Geschmack wird. Ich war ganz erstaunt über die Höhe der Palme, die Mannshöhe erreichen kann und durch unterschiedliche Höhe im Feld an Standfestigkeit gewinnt. Bis ins nächste Frühjahr kann man die Blätter ernten. Wenn der Winter warm ist eventuell sogar zweimal.

Früher hat man Grünkohl erst nach dem ersten Frost gegessen, aber schon einstellige Plusgrade, wie im Kühlschrank sorgen dafür, dass sich die Struktur ändert. Moderne Sorten haben ohnehin nicht mehr so viele Bitterstoffe. Dabei schmeckt er nicht nur deftig mit Wurst und Kasseler, sondern auch vegetarisch.

Eine richtig gute Adresse für leckere Grünkohlgerichte habe ich übrigens in der Nähe gefunden: das Landgasthaus Hengstforder Mühle in Apen mitten im Ammerland. Erbaut wurde die Mühle und ihre Nebengebäude Mitte des 18. Jahrhunderts vom Müllermeister Tönjes Brunken, der 1742 von der Großherzoglichen Oldenburgischen Regierung die Konzession für das “Anfertigen von geschälter Gerste, Perlgraupen und Grütze zum Ölschlagen” erhielt. Während die Mühle heute der Gemeinde gehört, verpflegen als Pächter die Familie Oberhauser ihre Gäste mit kulinarischen Spezialitäten der Region und Wildgerichten. Grünkohl darf dabei nicht fehlen und wird mit Oldenburger Pinkel, Kassler oder der sehr zu empfehlenden großen Ammerländer Fleischpinkel serviert. Mit seinen 24 komfortablen und gemütlichen Zimmern bietet es sich auch als Urlaubsziel an.

Aale im Räucherofen

(c) Michael Ritter

Lust auf Aal

Geräcuherte Fischspezialitäten bei Bruns

(c) Michael Ritter

Am nächsten Morgen steht die schon aus dem Spieker bekannte Aalräucherei Bruns auf dem Programm. Aalräuchern hat dort eine lange Tradition, denn schon seit Jahrhunderten fängt man im Zwischenahner Meer Aale. Es sind die geschlechtsreifen Blankaale, die es nach sechs bis zwölf Jahren wieder verließen, um mit einer Länge von bis zu 150 cm auf einer langen Reise zu ihrem Laichgebiet in der Sargassosee zurückzukehren, dort ihre Eier abzulegen und zu sterben. Seinen Namen verdankt dieser Teil des Atlantiks den Braunalgen der Gattung Sargassum, an denen die Aale bis zu 2 Millionen Eier pro Kilogramm Körpergewicht ablaichen. Manch einer nennt die Algen inzwischen „Fluch der Karibik“, da sie an den karibischen Stränden oft einen verfilzten Teppich bilden. Nicht alle geschlüpften Weidenblattlarven – so heißen sie wegen ihrer Form - überleben die rund dreijährige Wanderung mit dem Golfstrom. Einige werden dann immer noch mit Reusen gefangen, geräuchert und als Zwischenahner Smoortaal verkauft. Viele enden bereits im Kindesalter in Spanien oder verschickt nach Asien als Glasaale. In Spanien gelten Angulas mit Preisen von gut 1.000 Euro pro Kilo als eine der teuersten Delikatessen. Die wie schleimige 7 cm lange Würmer aussehenden Jung Aale werden im Baskenland gerne als Pintxos verzehrt.

2009 wurde der Europäische Aal zum Fisch des Jahres gewählt, denn Aal gehört zu den beliebtesten Speisefischen. Sein natürlicher Bestand ist in den letzten 30 Jahren massiv zurückgegangen. Seit 1998 steht er auf der Roten Liste gefährdeter Arten. In Deutschland hat man deshalb vor ein paar Jahren die Initiative zur Förderung des europäischen Aals gegründet. Für jeden verkauften Speiseaal aus Aquakultur werden zusätzlich drei Jung Aale in geeigneten Flüssen und auch große laichreife weibliche Aale an den Küsten ausgesetzt.

Die Spezialität der Aalräucherei Bruns sind Räucheraale, aber auch Räucherlachs, Graverd-Lachs und Stremel-Lachs sind sehr beliebt. Ihre Geburt und Kinderstube verleben die bei Bruns geräucherten Aale weiterhin auf dem Weg von der Sargassosee zu den Küsten Europas, doch statt - wie die meisten ihrer Artgenossen - an den Küsten und in den Flüssen und Gewässern langsam zu wachsen, werden sie als Kinder gefangen und landen als Glasaale in riesigen Wasserbassins, in denen sie in ein bis zwei Jahren bei 24 Grad C erst mit Fischmehl und später mit diversen Pellets gemästet und sobald sie ihr Schlachtgewicht erreicht haben, an Aalräuchereien wie Bruns verkauft. Statt in mehreren Jahren langsam zur Geschlechtsreife heranzureifen, sind die Aale aus Aquakultur nicht geschlechtsreif. Die Aal-Initiative ist wichtig, denn künstlich züchten lassen sich die Aale nicht. Die EU hat festgelegt, dass 40 Prozent des Aalbestands jedes ihrer Mitgliedsstaaten die Chance haben muss, zum Laichen in die Sargassosee ziehen zu können. Wegen des Schmuggels mit den beliebten Glasaalen klappt das nicht immer.

Bei Bruns kommen die Aale lebend in großen Wassercontainern an, werden dann mit einer Elektrobehandlung getötet und anschließend geschlachtet. Die meisten Aale wandern danach in die Räucheröfen, werden filetiert oder am Stück an die Kunden im Betrieb selbst oder einer der beiden Gaststätten verkauft. Das Ergebnis kann sich sehen und schmecken lassen. Schon der Gang durch das im Zentrum von Bad Zwischenahn gelegene Fischlokal zum sonnigen Wintergarten lässt bei vielen Besuchern das Wasser im Munde zusammenlaufen. Egal ob Aal, Lachs oder Matjes: der Fisch ist frisch. Viele Gäste kommen deshalb immer wieder gerne ins Ammerland zurück.

© Michael Ritter

Zwischenahner Meer

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Bad Zwischenahn und sein Meer

Ammerländer Schinken im Buchenrauch

(c) Michael Ritter

Nur ein paar Kilometer weiter östlich kommen wir nach Bad Zwischenahn. Es hat sich in den Jahren zu einem blühenden Paradies am drittgrößten Binnensee Niedersachsens entwickelt und lädt seine Gäste, die dort gerne zur Moor- oder Kneippkur vorbeischauen mit einem „Meer“ und einem ausgedehnten Netz an gut ausgeschilderten Wander- und Radwegen. Lange hat man im Landkreis Ammerland auf Städte verzichtet. Erst 1977 ernennte man das etwas kleinere Westerstede mit dem Sitz der Kreisverwaltung zur Stadt, während Bad Zwischenahn mit knapp 30.000 Einwohnern weiter als selbständige Gemeinde firmiert.

Bekannt ist der Ort neben seinen gesundheitstouristischen Angeboten für kulinarische Spezialitäten wie Smoortaal und Schinken, die in urigen Gaststätten angeboten werden. Das Gourmetrestaurant Apicius im Jagdhaus Eiden am See gilt mit dem Michelin Stern, den Küchenchef Tim Extra erkocht hat, gar als kulinarischer Leuchtturm am Zwischenahner Meer.

Doch um die regionalen Spezialitäten besser kennenzulernen mache ich zu allererst einen Besuch bei Henning Meyerjürgens. Der agile Metzgermeister hat sich in seinem kleinen Handwerksbetrieb auf die Herstellung des Original Ammerländer Spiekerschinken spezialisiert.

Dafür verwendet er nur Schinken vom Haschenbroker Landschwein, einem Strohschwein, das - wie der Name schon sagt - artgerecht auf Stroh gehalten wird und auch mindestens 40% mehr Platz hat, als gesetzlich vorgeschrieben. Wissenschaftler sagen, dass durch Wühlen im Stroh das natürliche Verhalten der Tiere gefördert wird. Fachmännisch zeigt er mir an einer Schweinehälfte, wie er diese innerhalb von knapp 2 Minuten mit dem Messer zerlegt und in die einzelnen Partien aufteilt. Seine Schweine bekommt er aus dem Nachbarkreis von der Familie Deye, bei denen die Tiere viel Platz, Auslauf, Stroh und Frischluft bekommen und man strengt auf die Einhaltung des Tierwohls achtet. Vor ein paar Jahren hat man sie dafür mit dem Innovationspreis der Initiative Tierwohl ausgezeichnet. Kastenstände, in denen die Muttersau „zum Schutz der Ferkel“ in einem Metallkäfig fixiert werden, sucht man dort zum Glück vergebens, denn der vermeintliche Tierschutz ist eine Qual für die Schweine.

Zwar wurde er durch die Tierschutz-Verordnung inzwischen verboten, aber sehr viele konventionelle Betriebe nutzen ihn noch bis diese Verordnung 2029 endlich greift. Auch das Black-Welsh-Rindfleisch vom Schwarzen Riesen, dass Henning Meyerjürgens verarbeitet, stammt direkt aus dem Ammerlandkreis. Doch zurück zum Haschenbroker-Landschwein. Die Tiere werden mit dem Duroc-Eber gekreuzt, was ein sehr zartes und aromatisches Fleisch ergibt. Die Schinken der Tiere werden nach alter Tradition trocken von Hand gesalzen. Geräuchert werden sie dann über Buchenholzfeuer im Rauch unter der Decke des historischen Ammerländer Bauernhauses im Freiluftmuseum am Meer, wo sie mindestens ein dreiviertel Jahr lang reifen, wodurch der original Ammerländer Spiekerschinken, den nur Meyerjürgens räuchert, sein unverwechselbares Aroma und diesen einzigartigen Geschmack bekommt.

Gleich nebenan hat man mit dem Spieker das Nebengebäude des Ammerländer Bauernhauses zu einer traditionellen rustikalen Gaststätte ausgebaut, wo mächtige, dunkle Holzbalken die hellen Backsteinwände stützen und die Gäste auf dem alten Steinfußboden auf Binsenstühle an massiven Holztischen sitzen, was den bäuerlichen Charakter des Hauses unterstreicht. In der kalten Jahreszeit lodert das Feuer im Kamin und vermitteln behagliche Gastlichkeit. Neben dem Ammerländer Spiekerschinken steht im Spieker Aal ganz weit oben auf der To-Eat-Liste. Den Rekord soll vor fast 30 Jahren ein Russe aufgestellt haben, der innerhalb von zwei Stunden ganze 16 Räucheraale verzehrte – inklusiv einer halben Flasche Doornkaat. Auch seine Mitreisenden hatten einen guten Appetit und gönnten sich eine teure Zeche. Den Ammerländer Smoortaal bekommt man von der lokalen Aalräucherei Bruns, wo das Räuchern der Aale und die Zusammensetzung des Holzes zum Räuchern ein gut gehütetes Geheimnis ist. „abziehen… genießen… nachspülen… säubern!“ lautet die Reihenfolge und dazu gibt es den Ammerländer Löffeltrunk, den der Gastgeber regelmäßig seinen Gästen mit einem flotten Spruch im bereitliegenden Zinnlöffel einschenkt.

Direkt am See liegt das bereits erwähnte Romantik-Hotel Jagdhaus Eiden. Während andere Hotels das „Meer“ im Namen führen, begnügt man sich dort mit dem See. Das gemütliche und komfortable Wellness-Hotel punktet neben seiner Lage direkt am See mit seiner Sterneküche und einem schönen Spa.

altes Ammerländer Bauernhaus

(c) Michael Ritter

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